Dienstag, 14. April 2009

Bob Dylan - 31.3.2009 - AWD Hall Hannover

Vorab:
Jeder der sich nie für Bob Dylan begeistern konnte:
http://www.youtube.com/watch?v=bqUFHEyu5hM
Abgesehen von der super Performance des musikalisch sowie lyrisch genialem „Like a rolling stone“ fasziniert mich an dem Auftritt immer wieder der Mensch Bob Dylan. Auf den Vorwurf des Verrats (Zu dieser Zeit stieg Dylan grade von Folk auf Rock um, was die Folkies natürlich im Dreieck springen ließ) derart trotzig zu reagieren und dann noch dieses auslachende ist-mir-doch-schnuppe "Play fuckin' loud!" ist für mich der Beginn von Punk.

Dienstag morgen wachte ich auf und dachte, dass dieser 31.03. der schlimmste Tag diesen noch sehr jungen Jahres, wenn nicht sogar meines Lebens werden würde. Decke zurückgeschlagen, gleich gesehen, dass da ein fetter Fleck Maggi Asia Soße auf meinem Laken klebte und als ich mich aufrichtete, sah ich, dass das nicht das einzige war, dass ich heute noch in Ordnung bringen musste. Den vorherigen Abend waren noch ein paar Freunde vorbeigekommen und wie das dann so ist fängt das übel mit der Frage "Darf ich am Fenster eine rauchen?" an und endet mit auf dem Kaktus aufgespießten Kippen.
Als ich dann meinen Weg in die Küche gemacht hatte und zwei meiner Freunde vor dem Vogelkäfig stehen sah, wusste ich gleich was los war: Die Idioten hatten sich Rührei gemacht, das Fenster aufgemacht und mein verflixter Wellensittich war durch die offene Käfigtür abgehauen. Und genau so war es und genau so ist es bis heute. Er ist vermutlich erfroren oder wurde von einer Katze bzw. einem Falken gepackt. Das einzige, was ich in dieser Situation denken konnte war, dass Tocotronic aus dieser Geschichte vermutlich einen guten Song gezimmert hätten.
Die erste Hälfte des Tages verbrachte ich also damit, aufzuräumen und mich nebenbei mit dem "Royal Albert Hall 1966"-Bootleg von Bob auf den Abend einzustimmen.

Gegen 17.30 fuhr ich dann mit der Bahn Richtung Hannover, ich hatte noch anderen Kram in der Stadt zu erledigen. Wunderschönes Wetter, weswegen ich in kurzer Hose, T-Shirt und Sonnenbrille fahren konnte. Am Bahnhof in Neustadt hatte ich noch ein ziemlich seltsames Erlebnis, ich wunderte mich über die Durchsage der elektronischen Ansagen-Frauenstimme "Achtung an Gleis 2, ein Zug fährt durch, ich wiederhole, ein Zug fährt durch!". Ich meine, "...Ich wiederhole..."! Da spricht eine am Computer erzeugte Stimme und jemand hat ihr per Tastatur eine Identität zugeteilt. Das klingt jetzt sehr seltsam aber in diesem Moment hat es mich wahnsinnig getroffen. Wenn ich den letzten Satz lese, klingt es sogar sehr seltsam. Sowas kann man in keinem Blog erklären. Da muss jeder selber drüber nachdenken (Falls es das überhaupt wert ist).
Eine Dreiviertelstunde vor Beginn bin ich dann endlich mit eine viel zu überfüllten Bahn zur AWD-Hall gefahren um festzustellen, dass man natürlich erstmal 20 Minuten anstehen musste. Nicht, dass ich es nicht erwartet hätte, aber trotzdem ist es dann immer wieder ärgerlich. Wie in dem schlechten Lovesong in dem der Junge ganz genau weiss, dass das Mädchen nie auf ihn stehen wird, im Hinterkopf aber immer diese verzweifelte Hoffnung hat, die den Korb am Ende umso schlimmer macht.
Während ich da also so stand und ziemlich langweilige Leute bei ihren Gesprächen („...Das letzte mal hab ich Dylan '03 in Singapur gesehn, da war ich grade auf Geschäftsreise...“) belauschte hatte ich genug Zeit über uns als Bob Dylan Fans nachzudenken. Natürlich war es mir schon aufgefallen, dass einige der besonders treuen Fans mich als Jungspund sehr verächtlich ansahen, andererseits ertappte auch ich mich einige Male bei blöden Gedanken während ich Besucher sah, die noch jünger als ich waren: "Oh, der hat bestimmt die Karte von seinen Eltern gekauft bekommen...Pah, der kennt wahrscheinlich grade mal 'Blowing in the wind' von der 'Sound of the 60s'-Compilation...". Ich denke, da hat einfach der Neid überwogen, weil ich mir die Karte selber kaufen musste und dafür knapp ein Monatseinkommen drauf gegangen ist. Und als ich mich in einem parkenden Auto spiegelte, sah ich mich auf einmal, mit den billigsten Turnschuhen, kurzer Hose, Rocky Votolato-Shirt, Sonnenbrille und *Bling*-Ohring und kam mir wie die größte Lachnummer des Planeten vor. Wieso sollte ich entscheiden dürfen, wer ein cooler Fan ist und wer nicht? Ich kann ja nicht in die Köpfe reingucken und will es auch nicht.
Was ist schon ein „würdiger“ Fan? Ich kann es mir nunmal nicht leisten, alle Alben von Bob Dylan zu kaufen, aber habe sicher eine schönere Beziehung zu seiner Musik als ein mitt-fünziger Sammlerfreak, der zuhause eine Erstpressung von „Blonde on blonde“ hat, aber sie nie hört.
Ich hab auch keine besonders gute Gitarre und hab nie Unterricht genommen, aber bin felsenfest der Überzeugung, dass ich einen besseren Stil spiele, als jeder Idiot, der von seinen Eltern Unterricht bezahlt bekommen hat um „Tears in heaven“ zu lernen.
Und das alles kann man nicht sehen. Einen richtigen Fan zeichnet Leidenschaft, Liebe und Spass an der Musik aus. Soul.
Meine Colaflasche durfte ich nicht mit in die Halle nehmen, also exte ich sie vor den Augen der Security noch schnell und schmiss sie in den Müll, weswegen ich drinnen als allererstes auf Klo musste. Die Halle war mir noch einigermassen vertraut, ich war dort früher oft mit meiner Mutter und meinen Geschwistern zum „großen Feuerwerk der Turnkunst“ oder so ähnlich.
Ca. 10 Meter vor der Bühne stellte ich mich also hin, eher links, meine Jacke gab ich noch einer Frau, die am Rand saß und netterweise versprach, auf sie aufzupassen. Als ich wiederkam, versuchte ich noch ein bisschen weiter nach vorne zu kommen, allerdings hatte man bei der Maße von scheinbar hauptberuflichen Konzertbesuchern keine Chance, die standen wie Bäume. Ungefähr zwei Meter konnte ich noch gewinnen, dann stand ich direkt hinter einem 2,10 Meter großen Mann, der während des ganzen Konzerts mit verschränkten Armen dort stehen sollte.
Es ging also endlich los. Nach einer eher lieblosen Ansage betrat also Bob Dylan samt vierköpfiger Band und begann mit „Leopard-skin pill-box hat“, hah, wunderbar, gleich so ein Kracher! Mit dem darauffolgenden „The man in me“ wurde sogar noch einer draufgesetzt und mein erster Gedanke war „Hey, da wird sich der Typ mit dem „Big Lebowski“-Shirt, den ich draußen noch getroffen hab, aber freuen!“ und danach kam ein ziemlich trauriger Blick in die Runde, in der der Großteil der Leute total bewegungslos da standen und höchstens mit dem Kopf wackelten. Naja...
Die Band spielte sich durch ein ziemlich gutes Set mit Hits wie „Highway 61 revisited“, „Like a rolling stone“ und, wow, wie hab ich mich gefreut, „Memphis blues again“, einem meiner absouluten Lieblingslieder überhaupt. Und natürlich vielen neueren Songs vom aktuellen Album „Modern times“, bei denen ich zugeben muss, dass ich sie gerne von der Playlist gestrichen hätte, für Klassiker. Klar, ich hab nicht erwartet, dass er nach 60 Jahren noch Lust hat, die alten Songs zu spielen, aber ich hab nie gesagt, ich hätte es mir nicht insgeheim gewünscht. Aber natürlich versteht man ihn, wenn man will. All die wunderbaren Songs, die liegen so viele Jahre zurück, wie oft hat er die gespielt? Mein Eindruck war, dass er (völlig zurecht) keine Legende sein will. Bob Dylan will als Musiker verstanden werden, nicht als die Legende, als die ihn viele sehen, er ist ein Musiker, der immer noch neue Musik macht und diese gerne spielen will. Ein bisschen von dem eingangs erwähnten Punk konnte man auch an diesem Abend noch spüren, er hat immer noch keine Lust, das zu sein, was andere Leute von ihm wollen, man hat das Gefühl, als schlägt er ständig Haken, um das Publikum gegen sich selbst aufzubringen. Lieder werden neu interpretiert, das wunderbare Refrain von „Memphis blues again“ wird zum genuschelten „Stuckinsideofmobilewiththememphisbluesagain“ und oben sitzt er am Piano und freut sich, dass er dem Zuhörer wieder was neues zeigen konnte und am meisten darüber, dass er die Publikums-Erwartungen zu Staub zertreten hat.
Die letzte Zugabe war also ein echt cooles, tanzbares „Thunder on the mountain“, danach wurde nochmal mit der Band für eigentlich nicht erlaubte Fotos posiert, ich hielt schnell meine Einwegkamera hoch und genoß die letzten Sekunden mit diesem Genie. Gut. Klingt jetzt dumm. Von wegen „nur als Musiker sehen“ und so. Trotzdem.
Auf dem Weg aus der Halle kam ich noch am Merch-Stand vorbei und fing wieder an zu schwärmen, wie es wäre, wenn ich eine Band hätte und meine Shirts verschenken würde, anstatt sie für satte 35 Euro zu verkaufen. Wirklich Wahnsinn, aber auch ziemlich krass, wenn man drüber nachdenkt, wie wenig Einfluss der Musiker selbst darauf hat und wieviel Geld mit einem Namen gemacht werden kann, ein Name ist doch nichts eigentlich und man muss ihn nur ein bisschen pushen und schon kann man damit Geld machen. Ein lustiger Gedanke.
Kennt ihr das Gefühl, wenn man mittags von der Schule nach Hause kommt, die ganze Straße runter riecht es wunderbar nach Essen, man steckt ganz aufgeregt den Schlüssel in die Haustür mit dem Gedanken „Bitte lass den Gerucht aus meiner Küche kommen“ und drinnen sitzt die Mutter und meint: „Ah, du bist da, dann kann ich ja jetzt die Königsberger Klopse warm machen!“? Genau dieses Gefühl sah ich auf dem Heimweg in den Gesichtern einiger Leute, die in Erwartung eines Best of-Konzertes mit einem super vitalen '66er Dylan gekommen waren. Doch für mich hatte es an diesem Dienstag Abend einen fetten Sonntagsbraten gegeben.